Knistern der Zeit - Dokfilm & Hommage an Christoph Schlingensief
Sibylle Dahrendorf begleitete filmisch das Operndorf in Burkina Faso
Bemerkenswerte Menschen können nur für bemerkenswerte Dokumentationen sorgen. Am 21. August 2010 starb einer der originärsten aktuellen deutschen Künstler: Christoph Schlingensief. Schon zu Grundschulzeiten begann er mit dem Filmen und arbeitete fast 20 Jahre überwiegend mit diesem Medium. Schlingensiefs Filme sind ein fröhliches Gemetzel an Sehgewohnheiten, gesellschaftlichen und künstlerischen Konventionen und nicht selten provokativ auf den Trümmern der Filmgeschichte ausgetragen. Als Theaterregisseur begann er erst 1993, mit einer Inszenierung an der Berliner Volksbühne. Nach der Jahrtausendwende realisierte Schlingensief immer mehr Inszenierungen, die als wegweisend für das Theater der Zukunft gelten können. Seine Operninszenierungen in Bayreuth und Manaus (Brasilien) waren eine konsequente Erweiterung seiner Theaterarbeit, die schon in früheren Inszenierungen Auszüge von Wagneropern enthielten. 2008 erkrankte Schlingensief an Lungenkrebs und exhibitionierte noch intensiver als zuvor sein Leben auf die Bühne. Die eigene Erkrankung und der möglichen Tod wurde nicht nur das Rohmaterial seiner Inszenierungen, sondern auch der Titel der lesenswerten Autobiografie "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!".
Einer der stilprägendsten deutschen Filmkritiker urteilt über den Schlingensief-Film: Natürlich ist Sibylle Dahrendorfs Knistern der Zeit eine Schlingensief-Dokumentation. Sie lebt von seinem Elan, seinem Charme, davon, dass wir alle ihn hier noch einmal quicklebendig in Aktion erleben können, und wieder ein bisschen 'was Neues, eine weitere Facette seines Werks kennenlernen. Doch das ist unsere Wahrnehmung. Denn als Film ist dies zugleich das Gegenteil einer One-Man-Show: Ein Dokumentarfilm, wie er sein soll: Nüchtern, kühl, voller Lust an der Beobachtung und eben am Festhalten des Beobachteten. Und eben dadurch entwickelt er schnell einen Sog und eine ganz eigene Emotion und Poesie. (artechoc, Rüdiger Suchsland )
Wir freuten uns, dass die Projektleiterin des Operndorf Afrika, Christin Richter, die über die letzten Jahre mit Christoph Schlingensief verbunden war, den Film persönlich im Kunsthaus Eigenregie vorstellte. Zusätzlich gab es eine Reminiszenz an die Theaterperformance "Chance 2000", an der Sybille Dahrendorf und auch Mario Falcke (auch als Produzent des CD-Samplers Diplomatenpass) mitwirkten.
Ganz herzlich begrüßten wir an diesem Abend auch Marie Köhler. Die Dortmunder Fotografin Marie Köhler wollte ein anderes Bild von Afrika zeigen – ein Bild ohne Klischee, ohne projizierte Romantik, ohne Augenwischerei. Köhler reiste dafür in das Operndorf von Christoph Schlingensief in Burkina Faso und versuchte, die Kinder für das Fotografieren zu begeistern. Sie greift die Vorstellung von Christoph Schlingensief auf, der das Operndorf als Veranstaltungs- und Lernort für eine afrikanische Kultur verstanden wissen wollte. Unser Bild von Afrika ist zu großen Teilen von Klischees geprägt. Wir kennen die Bilder von Armut und Krieg, von Kindern mit Wasserbäuchen oder die bisweilen von postkolonialer Romantik verbrämten Aufnahmen von Elefanten am Wasserloch. Marie Köhler kehrte mit Tausenden experimentellen Fotos der Kinder zurück, die sich und ihre Lebenswelt in ihre eigene Bildsprache umsetzten. Das Projekt fand viele Förderer und Aussteller - der erste Fotoband ist bereits ausverkauft. Wir freuen uns, dass Marie Köhler eine Auswahl an Fotoarbeiten für 4 Wochen zugänglich machte. In unserer Rubrik Galerie findet ihr mehr Informationen. Zu der Veranstaltung kamen einige Menschen, die mit dem Leben Christoph Schlingensief zu tun hatten. Hier noch ein Teaser des Films: